Existenzlöhne: Unser Dialog mit Modefirmen
Mit den Schlagworten Nachhaltigkeit, Transparenz und faire Entlöhnung brüsten sich heute die meisten Modefirmen – doch was steckt tatsächlich dahinter? Public Eye hat mit der Kampagne «Ausbeutung passt uns nicht» hingeschaut und mit rund 25’000 Menschen beim Kundendienst von acht internationalen und Schweizer Firmen nachgefragt. Hier prüfen wir die meistgenannten Antworten und Ausreden und geben konkrete Hinweise, was Firmen tun könnten und sollten.
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«Wir zahlen gesetzliche Mindestlöhne» – Das reicht nicht!
Was Firmen sagen
Beispiele aus Firmenantworten auf unsere Anfragen:
«Die von Triumph gezahlten Löhne entsprechen ausnahmslos sämtlichen gesetzlichen Vorgaben wie etwa Mindestlöhnen inklusive zuzüglich [sic] den gesetzlich vorgeschriebenen Zuschlägen in den einzelnen Produktionsländern.» (aus der Antwort von Triumph, 24.9.2019)
«Anfang dieses Jahres sind die gesetzlichen Mindestlöhne in Bangladesh um 80% gestiegen. Wir haben bei allen unseren Bangladeshi Lieferanten sichergestellt, dass diese gesetzliche Regelung umgesetzt wurde und somit die von uns gezahlten Einkaufspreise erhöht.» (aus der Antwort von Tally Weil, 25.10.2019)
Wie sehen wir das?
In den meisten Produktionsländern von Textilien reichen die gesetzlichen Mindestlöhne nicht zur Sicherung der Grundbedürfnisse der Beschäftigten und ihrer Familien. Die Mindestlöhne müssten deutlich angehoben werden; doch solange das nicht erfolgt, dürfen sich Unternehmen nicht einfach nur auf die Einhaltung der gesetzlichen Lohnuntergrenzen berufen: Unternehmen tragen nach den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte Verantwortung für die Gewährleistung existenzsichernder Löhne in ihren Lieferketten. Ein Existenzlohn ist ein verbrieftes Menschenrecht.
Was können und sollten Unternehmen konkret tun?
- Ihre Pflicht zur Gewährleistung existenzsichernder Löhne grundsätzlich anerkennen und dies öffentlich und gegenüber Zulieferfirmen kommunizieren.
- Nicht nur die Einhaltung von Mindestlöhnen, sondern auch die Gewährleistung von existenzsichernden Löhnen zum Bestandteil ihrer Einkaufsstrategie zu machen und als Bedingung für die Zusammenarbeit mit anderen Firmen (Lieferanten, Tochterunternehmen) zu definieren.
- Bei Preisverhandlungen sicherstellen, dass die Einkaufspreise ausreichend sind, damit Arbeiterinnen und Arbeiter existenzsichernde Löhne erhalten können.
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«Wir sind transparent» - Wirklich?
Was Firmen sagen
Von den acht Firmen haben uns nur C&A und H&M Links zu öffentlichen Fabriklisten geschickt. Calida räumt «bei einigen Marken Verbesserungs-Potential in Punkto Transparenz» ein (Calidas 1. Antwort, 7.10.2019) und kündigt mehr Informationen im «nächsten CSR Report Ende Februar 2020» an – wir sind gespannt, ob darin endlich transparent über Löhne und Lieferkette berichtet wird. Auch Zalando kündigte im CSR-Bericht für Ende 2019 Lieferkettentransparenz an.
Wie sehen wir das?
Viele Firmen werben mit Transparenz, doch bei den meisten ist nicht einmal bekannt, wo ihre Kleidung produziert wird. Mit transparenten Lieferketten wissen Beschäftigte und Gewerkschaften, welche Markenfirmen in einer bestimmten Fabrik produzieren lassen, können Probleme melden und Kampagnen durchführen. Sie können auch direkt mit einer Markenfirma über höhere Löhne verhandeln. Darüber hinaus können unabhängige Untersuchungen in den Zulieferbetrieben durchgeführt werden und es kann überwacht werden, ob ein Unternehmen über eine stabile Lieferantenbasis mit langjährigen Geschäftsbeziehungen verfügt.
Was können und sollten Unternehmen konkret tun?
- Transparent berichten, wo und unter welchen Bedingungen ihre Kleidung hergestellt wird.
- Als ersten Schritt sollten die Modefirmen offenlegen, wer und wo ihre Lieferanten sind und wie viele Angestellte diese jeweils beschäftigen.
- Dem Beispiel anderer Firmen folgen und den «Transparency Pledge» unterzeichnen und umsetzen.
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«Wir achten das Lohngeheimnis» – Nein, Transparenz ist wichtig
Was Firmen sagen
«Als börsenkotiertes Unternehmen kommunizieren wir jedoch grundsätzlich keine Löhne unterhalb der Management-Stufe und demnach weisen wir auch die Löhne in Ungarn nicht auf Mitarbeiter-Ebene aus.» (aus der Antwort von Calida AG, 16.10.2019)
Auch viele anderen Unternehmen veröffentlichen keine Lohnangaben, oft ganz ohne Begründung, teils mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse oder Verschwiegenheitspflichten. H&M veröffentlicht Durchschnittslöhne für einige Produktionsländer.
Wie ist das zu bewerten?
Wenn Ungleichheit und Ausbeutung so ausgeprägt sind wie in den globalen Lieferketten der Modeindustrie, dann gehört die Frage nach den tatsächlich bezahlten Löhnen auf den Tisch, nicht unter den Teppich.
Was können und sollten Unternehmen konkret tun?
- Detailliert über die Lohnentwicklungen in den Herstellungsbetrieben berichten.
- Die Lohnspanne oder zumindest die niedrigsten Löhne pro Betrieb resp. pro Land veröffentlichen. Die Veröffentlichung lediglich von Durchschnittslöhnen ist weniger aussagekräftig, aber zumindest ein Anfang.
- Veröffentlichung von Tarifverträgen oder Eckdaten daraus.
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«Wir sind dran» – Massnahmen brauchen einen klaren Zeitplan!
Was Firmen sagen
Wenn Firmen konkrete Massnahmen erwähnen, so fehlt fast immer eine Angabe, bis wann die Firma mit einer konkreten Wirkung rechnet, also eine Zielvorgabe, bis wann die Löhne dadurch ansteigen sollen:
«Wir können im Moment nicht sagen, wie lange es dauern wird, bis alle Arbeitskräfte Löhne erhalten, die zum Lebensunterhalt reichen. C&A unterstützt jedoch diesen Prozess, dessen Umsetzung Zeit und Anstrengung kostet.» (aus der Antwort von C&A, 21.10.2019)
Wie ist das zu bewerten?
Während es Firmen gibt, die überhaupt nicht auf Existenzlöhne hinarbeiten, erkennen andere immerhin an, dass es Fahrpläne und Massnahmen braucht. Solange diese jedoch ohne konkrete Zeiterwartungen bleiben, lässt sich nur schlecht feststellen, ob die Massnahmen auch erfolgreich und ausreichend sind oder ob sie angepasst oder erweitert werden müssten. Es ist nicht hinnehmbar, dass weitere Generationen von Arbeiterinnen und Arbeitern Löhnen erhalten, die nicht zum Leben reichen.
Was können und sollten Unternehmen konkret tun?
- Aktionspläne mit konkreten Zeitzielen für Lohnerhöhungen und das Erreichen von Existenzlöhnen veröffentlichen.
- Gesetzte Zeitziele bedeuten nicht gleichzeitig, dass die Ziele auch tatsächlich in dieser Zeit erreicht werden. Aber sie sind eine klare Positionierung und Ansage an alle Beschäftigten, Geschäftspartner und an die eigene Einkaufsabteilung; sie erhöhen den Veränderungsdruck und ermöglichen frühzeitiges Nachsteuern, falls die Zielerreichung sich verzögert oder mit den bisher angewandten Mitteln nicht erreicht werden kann.
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«Alleine können wir wenig machen» - Hmm…
Was Firmen sagen
«Wir wissen, dass unser Einfluss sehr begrenzt ist, wenn wir einzeln vorgehen. In Bangladesch produzieren beispielsweise nur 196 Produktionsstätten Bekleidungsartikel für C&A. Dies sind weniger als 4 % der mehr als 5000 Textilfabriken des Landes. Wir haben uns daher entschieden, uns mit internationalen Gewerkschaften und anderen Marken zusammenzutun.» (aus der Antwort von C&A, 21.10.2019).
Und H&M schreibt: «Gleichzeitig wollen wir weitere Unternehmen überzeugen, sich unserem Ansatz anzuschließen, da kein Unternehmen im Alleingang bessere Löhne durchsetzen kann und kein Unternehmen bisher eine konzeptionelle Alternative zu unserem systemischen Ansatz entwickelt hat.» (aus der Antwort von H&M, 21.10.2019).
Wie sehen wir das?
Es ist gut, wenn Firmen zusammenspannen um systemische Probleme anzugehen, jedoch darf dies nicht als Vorwand dienen, in der eigenen Unternehmenspraxis Existenzlöhne nicht auch zu einer Top-Priorität zu machen: bei Entscheidungen über das eigene Geschäftsmodell ebenso wie bei der Frage was, wie und wo produziert wird.
Was können und sollten Unternehmen konkret tun?
- Unternehmensaktionspläne für Existenzlöhne veröffentlichen.
- Die Gewährleistung von Existenzlöhnen nicht als Randthema behandeln, sondern zur Top-Priorität bei den Entscheidungen des Unternehmens machen und das Geschäftsmodell und die Einkaufspolitik des Unternehmens entsprechend anpassen.
- Einkaufspreise an Lieferanten zahlen, bei denen Lohnkostenanteile auf Existenzlohnniveau eingepreist sind.
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«Wir sind bei amfori BSCI» – Freiwillige Firmeninitiativen reichen nicht aus!
Was Firmen sagen
«Ausserdem verstärkt die BSCI durch Workshops und andere Aktivitäten den Dialog zwischen Arbeitern, Management und Gewerkschaften. Ziel dieser Aktivitäten ist es, durch die örtliche Gesetzgebung und den Stakeholder-Dialog eine nachhaltige Lohnsteigerung zu erzielen - aus unserer Sicht der beste Weg, Fortschritte in Richtung unseres langfristigen Ziels zu erreichen.» (aus der Antwort von Strellson, 21.9.2019)
Wie sehen wir das?
Die meisten untersuchten Schweizer Firmen verweisen - wie bereits vor fünf Jahren - auf die freiwillige Firmeninitiative amfori BSCI, wenn sie gefragt werden, was sie für Existenzlöhne in ihrer Lieferkette tun. Doch bei der Firmeninitiative amfori BSCI sind Gewerkschaften, NGOs und lokale Organisationen im Gegensatz zu den meisten Multistakeholder-Initiativen nicht gleichberechtigt beteiligt. Zudem liegt bei amfori BSCI die Verantwortung für die Umsetzung grundlegender Standards vorwiegend bei den Zulieferbetrieben. Die Initiative verlangt von ihren Mitgliedern keine Verpflichtung zur Bezahlung eines Existenzlohnes und sie verpflichtet sie auch nicht, ihre Einkaufspolitik und -praktiken so anzupassen, dass den Fabrikarbeiterinnen ein Existenzlohn bezahlt werden kann. Damit sind keine ausreichenden Bemühungen seitens amfori BSCI ersichtlich, welche die Einführung eines Existenzlohnes in den Lieferketten ihrer Mitglieder effektiv vorantreiben würden.
Was können und sollten Unternehmen konkret tun?
Ein Jahrzehnt freiwilliger Initiativen hat keine umfassenden Lösungen hervorgebracht, um die Existenzlohn-Lücke in einem angemessenen Zeitrahmen zu schliessen. Markenfirmen und Modeunternehmen sollten
- rechtsverbindliche, durchsetzbare Vereinbarungen mit Beschäftigtenvertretungen aushandeln und unterzeichnen, die u.a. die Zahlung deutlich höherer Einkaufspreise an die Lieferanten beinhalten. Nur so sind diese finanziell in die Lage, existenzsichernde Löhne zu zahlen, die die Grundbedürfnisse von Arbeitnehmerinnen und ihrer Familie decken.
- Audits als eine von mehreren möglichen Informationsquellen ansehen, aber nicht als eine ausreichende Strategie für Unternehmensverantwortung betrachten oder verkaufen.
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«Wir sind Mitglied bei ACT» – Gut, aber es braucht mehr
Was Firmen sagen
«Existenzlöhne sind ein komplexer Sachverhalt, der alle Akteure der Modeindustrie betrifft und nur gemeinsam gelöst werden kann. Aus diesem Grund ist Zalando mit seinen Eigenmarken der ACT (Action, Collaboration, Transformation) Initiative beigetreten, die alle wichtigen Player der Industrie an einen Tisch bringt. Durch Tarifverhandlungen auf Branchenebene, die mit den Einkaufspraktiken verbunden sind, sollen existenzsichernde Löhne für alle Arbeitnehmer erzielt werden.» (aus der Antwort von Zalado, 20.9.2019)
Auch C&A, H&M und Zara verweisen auf ACT.
Wie sehen wir das?
Das Thema Existenzlohn auch gemeinsam mit anderen Akteuren anzugehen, ist gut; und Verhandlungen mit Sozialpartnern mit dem Ziel von branchenweiten Tarifvereinbarungen, wie sie im Rahmen von ACT angestrebt werden, sind notwendig. Leider reicht dies nicht aus, um Existenzlöhne durchzusetzen. Aufgrund des Machtungleichgewichts zwischen Sozialpartnern können die Tarifverhandlungen auf nationaler Ebene lange dauern, und ob die erhebliche Kluft zwischen den derzeitigen Mindestlöhnen und einem existenzsichernden Lohnniveau auf diesem Wege überbrückt werden kann, bleibt unklar. Tatsächlich hat ACT bisher in 3 Jahren Arbeit noch keinen einzigen Tarifvertrag hervorgebracht. Zudem liefert ACT keine flächendeckende Strategie mit konkreten und transparenten Zeitplänen zur Erreichung eines Lohns zum Leben. Neben ACT braucht es daher weitere konkrete Strategien, um Löhne anzuheben.
Was können und sollten Unternehmen konkret tun?
Neben ACT braucht es weitere konkrete Strategien, um Löhne anzuheben. Wir erwarten einen
- transparenten Aktionsplan, wie die Modeunternehmen mit ihren Zulieferern die Löhne anheben möchten sowie
- konkrete Zielvorgaben, bis wann damit in welchem Produktionsland ein Lohn zum Leben erreicht wird.
- Dass Firmen Einkaufspreise an Lieferanten zahlen, bei denen Lohnkostenanteile auf Existenzlohnniveau eingepreist sind.
Alle Antworten der Firmen und unsere Einschätzung dazu finden Sie hier.
Die genannten Handlungsvorschläge sind als Beispiele zu verstehen - weitere Handlungsfelder finden sich in der «Roadmap to a living wage» der Clean Clothes Campaign.
Viele Beispiele, wie grössere oder kleinere Modefirmen Fragen von Lieferkettentransparenz, Lohntransparenz oder Massnahmen für Existenzlöhne angehen, gibt es auch in den Ergebnissen unserer Crowd Research.